Lit.: SZ am Wochenende mit Fernseh- und Rundfunkprogramm vom 30. Juli  bis 5. August 1977 Nr. 31, Seite 3,  Reportage

 

Christel Symanski

 

Streß in der Steppe

Saar-Team bei Ausgrabungen in Syrien

 

Am 15. August bricht in Saarbrücken eine Gruppe von elf Archäologen, Architekten und einem Philologen zu einer anstrengenden Reise in den Nahen Osten auf. Rund zwei Monate lang will die Gruppe der Saar-Universität am Euphrat-Ufer in Syrien jenen Überresten einer Uraltstadt auf die Spur kommen, die Bewohner längst vergangener Zeiten seit rund 5000 Jahren dort hinterlassen haben. Nach den Ausgrabungen bei der letzten Expedition 1974 in Mumbaqat hofft die Gruppe, weitere Tontafeln, vielleicht sogar ein ganzes Archiv zu finden, deren Keilschrift der heutigen Geschichtsschreibung Näheres über jene frühe Zeit um 1400 v. Chr. erzählen könnte. In der syrischen Historie klafft noch immer ein großes Loch: man weiß zu wenig von den damaligen Vorgängen und Geschehnissen.

  

Alfred Maurer, Architekt aus Saarbrücken-Dudweiler und von der Deutschen Orientgesellschaft in Berlin  mit der Grabungsleitung beauftragt, ist zuversichtlich.  Nach den Erfahrungen der letzten Grabung vor drei Jahren, die er noch unter dem damaligen Leiter Professor Orthmann mitmachte, hofft er fest auf weitere Nachrichten über jene Zeit, die in Form von Tontafeln, Statuen, Gefäßen, Speiseresten ans Tageslicht kommen. Dies alles: Reste einer antiken Stadt, deren klotzige Befestigungsmauern bei früheren Ausgrabungen – sie begannen 1969 – aus der Erde und dem Schutt der Jahrhunderte hervorgeholt wurden.

 

Als nächste Stufe ihrer langen Geschichte werden diese Überreste einer alten Kultur für immer in den Fluten des Euphrat versinken, der seit einigen Jahren schon zum riesigen Assad-Staudamm von 90 Kilometer Länge über der Steppe zusammenfließt.

 

Vieles ist darin schon versunken, anderes höher Gelegenes, wie der Ruinenhügel von Mumbaqat, wurde von dem steigenden Wasser noch nicht erreicht.

 

Viel Zeit bleibt nicht mehr, die wuchtigen Maurern und Torbogen freizulegen, zu erfassen, zu fotografieren, zu vermessen und zu zeichnen und so wenigstens auf dem Papiere zu analysieren und festzuhalten. Die Zufahrtswege werden allmählich überschwemmt, die Dörfer in der näheren Umgebung evakuiert, was auch wiederum den „Arbeitsmarkt“ bei den Ausgrabungen durcheinanderbringt. Dann nämlich wird es schwierig, Arbeitskräfte für die Ausgrabungen zu finden, die im Gegensatz zu den „freiwilligen unbesoldeten deutschen Mitarbeitern“ mit 8 DM pro Tag immer noch preiswerte Mitarbeiter sind. Das saarländische Team will für eine Arbeiten 35 Arbeitskräfte beschäftigen.

 

Freundliche Spender machen’s möglich

 

Die Gruppe aus dem Saarland ist in diesem Jahr die einzige aus der Bundesrepublik Deutschland, die in Syrien gräbt und die, anders als die Kollegen aus Holland und den USA, neben den vielen alltäglichen Schwierigkeiten auch mit denen der Finanzierung zu kämpfen hat. Im Gegensatz zu den anderen offiziellen Grabungsteams muß sie fast ohne öffentliche Gelder auskommen, finanziert sie sich durch Spenden.

 

Fachleute, Freunde mit sinn für die Bedeutung der Archäologie haben den Förderkreis „ Ausgrabung Mumbaqat“ gebildet, der sich schon den Löwenanteil der Kosten von rund 50.000 DM zusammenerbeten hat. Als Gegenleistung wird – neben der Spendenbescheinigung durch die Universität – die Hoffnung auf neue Erkenntnisse und Informationen über die Grabung geboten.

 

Das Team, der besseren Auswertung der Funde wegen interdisziplinär zusammengesetzt, weiß, was es in der Hitze der Steppe dort, fernab aller Zivilisation, erwartet. Es wird sich erinnern, welch angenehme Einrichtungen Duschen und fließendes Wasser doch sind, wenn das Wasser mühsam herangeschafft, wenn das nicht unbedingt appetitliche Wasser aus dem Euphrat gefiltert wird, was zwar den schmutz entfernt, die Bakterien aber leben lässt. Zahlreiche Impfungen und andere gesundheitlichen Vorbeugungen sollen Bazillen davon abhalten, Krankheiten zu verursachen. Der nächste Arzt ist nämlich, wie auch Geschäfte, Tankstelle und all das, was ein normaler Mitteleuropäer zum Leben braucht weit entfernt.

 

Manch einer der Gruppe wird gelegentlich an saarländische Gemütlichkeit zu Hause denken, wenn er sich aus der Hitze des Tages ins Grabungshaus zurückzieht, um elf die Lampe löscht, um das kleine Stromaggregat nicht zu überlasten. Denn weiterdiskutieren – das geht auch im Dunkeln, bevor man sich ein paar Stunden Schlaf durch die Nacht friert. So heiß die Zelte tagsüber sind, die Nächte sind empfindlich kühl.

 

Überhaupt wird es in der zweiten Hälfte der Ausgrabungszeit kälter, wird es gelegentlich regnen, was eine durchdachte Vorausplanung auch für die Kleidung verlangt. Daß dazu feste Schuhe gehören, die möglichst bis zum Knöchel reichen, auch bei 45 grad im Schatten, das weiß jeder: Es können schon mal Skorpione oder Schlangen über den Weg laufen.

 

Doch die Gruppe hat sich mit allem Notwendigen, von den Werkzeugen über das Arbeitsmaterial bis zu Medikamenten versorgt. Dies alles fährt schon mit dem Bus mit, der auch nach der langen Reise durch Griechenland und die Türkei nicht abgestellt wird: Er wird für die Versorgung eingesetzt. Einmal pro Woche fährt er in die nächstgrößere Stadt Aleppo, um die dort lagernde Post abzuholen, um die Lebensmittel einzukaufen, die der einheimische Koch dann zu landesüblichen Mahlzeiten verarbeitet.

 

Langeweile wird in der Steppe nicht aufkommen, dazu ist das Tagespensum zu umfangreich. Es beginnt morgens um 4.45 Uhr mit dem Wecken; Arbeitsbeginn ist 5.30 Uhr, Arbeitsende, wie in Syrien üblich, um 13.30 Uhr. Das gilt allerdings nur für die syrischen Arbeiter, denn nach der Mittagspause geht es an die Aufarbeitung, die Bearbeitung der Kleinfunde, an Bauaufnahme und Bauuntersuchung, das Führen der Tagebücher. Schließlich wird alles Neue steingerecht aufgenommen, jeder Felsbrocken maßstabgerecht auf dem Papier festgehalten.

 

Ein Teil der Funde darf übrigens mit zurück in die Bundesrepublik Deutschland, wie zwischen  der Deutschen Orientgesellschaft und der syrischen Regierung vertraglich vereinbart wurde. Ein Kommissar der Regierung ist natürlich mit wachsamen Augen von morgens bis abends dabei. Er hilft gleichzeitig als Dolmetscher aus, wenn das bisschen Arabisch der Gruppe zur Verständigung nicht ausreicht.

 

Ziel dieser letzten Grabung in Mumbaqat ist es, die Untersuchungen an dem großen Tempel abzuschließen, den man im antiken Stadtbereich freigelegt hat, an einem Gebäudekomplex nordöstlich des kleinen Tempels, in dessen Bereich 1974 die Tontafeln gefunden wurden. Weiter hofft man, den einzelnen Jahrhunderten auf die Spur zu kommen, die ihre Zeichen in Form von Zerstörungen und Wiederaufbau in Mumbaqat hinterlassen haben.

 

Neues Wissen aus alten Städten

 

Der Architekt Alfred Maurer, der zur Zeit im Fach Kunstgeschichte promoviert und für den Archäologie mehr ist als das Zusammentragen „schöner Funde“, sieht die Zielsetzung darin, das antike Stadtbild zu erfassen. Ihn fasziniert das Wissen ujm die Lebensbedingungen der damaligen Menschen um die Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens, die sich in der baulichräumlichen Komposition der Städte niedergeschlagen haben. Die umfassende Kenntnis der Geschichte der Stadtbaukunst sieht Maurer als Voraussetzung zur Lösung heutiger Probleme an, vor denen Städtebauer angesichts des Verkehrs, der entvölkerten Stadtkerne, der Monotonie neuer Stadtrandsiedlungen stehen.

 

Gerade die Betrachtung alter Städte des Vorderen Orients, die über ihre funktionellen Aufgaben hinaus Ausdruck der Kultur ihrer Bewohner waren, kann seiner Meinung nach zu neuen Erkenntnissen für den städtischen Lebensraum von heute führen. Maurer kann es sogar beweisen. Bei einem städtebaulichen Wettbewerb in Bitburg errang er einen Preis für einen Entwurf, an dessen Konzeption seine Kollegen aus der Zeit vor 3000 Jahren beteiligt waren: Erkenntnisse aus ihrer arbeit, auf die er bei den Ausgrabungen stieß, hat er dabei verwertet. Insofern sind für ihn die Ausgrabungen tatsächlich mehr als nur „Funde“.

 

Bild 1: Grabungsleiter Dipl.-Ing. Alfred Werner Maurer Universität des Saarlandes (Foto Maurer)

Bild 1: Grabungsleiter Dipl.-Ing. Alfred Werner Maurer der Universität des  

Bild 2: Steinbau 2, Räume C und B mit Treppenanlagen der Schichten 2 und 3, von Norden. Foto Maurer

 

Bild 3: Der große Tempel, der bei der Grabungskampagne 1974 von der saarländischen Forschergruppe im Stadtbereich von Mumbaqat freigelegt wurde, ist auf dem oberen Foto in seinen Überresten zu sehen. Die in Kürze beginnenden Grabungen in diesem Tempelbereich sollen weitere Aufschlüsse bringen. „Wir hoffen, unter dieser Tempelanlage einen Vorgänger-Tempel zu finden“, sagt Alfred Maurer, der die Grabungskampagne 1977 leiten wird. Die linke Aufnahme entstand ebenfalls im Grabungsbereich des großen Tempels, von den Altertumswissenschaftler als Steinbau II bezeichnet. Rechts im Bild sind Teile zweier Mauerpfeiler zu erkennen, links der sogenannte Scherbengarten: Ausgebuddelte Keramikscherben werden schichtenweise sortiert, gereinigt, aufgenommen und für die Forschung gesichert. Foto: Maurer

 

© Alfred Werner Maurer 

 

Anhang zur Ausgrabung Mumbaqat:

 

Bild 4:

Maske  

 

Bild 5: Acte juridique provenant de Tell Munbaqa (© Carole Roche)

Bild 6: Tonmodel aus Katalog
Peter Werner u. a.: Tall Munbaqa. Bronzezeit in Syrien, Hamburg 1998